Vielschichtiges Ganzes

Im «La Nave» in Buchs SG ist alles auf Individualität ausgerichtet. Die Privatschule ermöglicht ihren Schülerinnen und Schülern, Talente frei zu entfalten und den eigenen Charakter zu formen. Das drückt sich auch im Bauwerk von Carlos Martinez aus. Wir haben ihn zum Interview getroffen.

Bild: Can Isik

Bild: Olivier Brandes

Bild: Faruk Pinjo

Bild: Olivier Brandes

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Carlos Martinez, bei der Ausgestaltung des Projekts «La Nave» (Spanisch: das Schiff) war der Name auch Inspiration: Das Schulgebäude gleicht von aussen einem Schiff. Warum?

Uns war wichtig: das Gebäude soll widerspiegeln, was sich in seinem Innern abspielt. Darum ist «La Nave» ein grosses Schiff, das Kinder mit auf den Weg zu ihrer Bestimmung nimmt. Es symbolisiert, dass sie sich an diesem Lernort frei entfalten können. Oder, wie es die Schulleitung selbst ausdrückt: dass Kinder das werden dürfen, was sie im Grunde ihres Wesens sind.

Was braucht es, damit Sie kreativ wirken können?

Das werde ich oft gefragt. Und es ist überhaupt nicht so, wie man sich das vorstellt. Viele meinen, kreative Menschen hätten ihre Momente der Inspiration unter der Dusche oder auf dem Sofa. Bei mir jedoch entsteht alles während der Arbeit. Am Anfang steht ein verbal formulierter Leitgedanke, der mit der Philosophie und dem Zweck des Gebäudes in Verbindung steht.

Und dann beginnen Sie zu zeichnen?

Meistens entsteht zuerst noch mehr Geschriebenes. Dafür ziehe ich mich oft in meine Bibliothek zurück. Denn in dieser Phase arbeite ich gern allein. Danach spiegle ich meine Gedanken mit dem Team. Und dann erst beginnen wir mit dem Zeichnen. Bei diesem Projekt war David Gschwend aus unserem Büro wesentlich am kreativen Prozess beteiligt.

«Im Innern wächst das Gebäude wie ein Baum in die Höhe.»

Wenn wir nochmals einen Schritt zurückgehen: Wie stellen Sie sicher, dass sich Ihre Ideen mit den Vorstellungen Ihrer Auftraggeber decken?

Bevor wir anfangen, gibt es meist mehrere intensive Gespräche mit der Bauherrschaft. In diesem speziellen Fall kenne ich die Kundin schon sehr lange. Sie hat sich für «La Nave» etwas Besonderes gewünscht. So haben wir zusammen herausfiltriert, was genau die Essenz dieses Gebäudes sein soll.

Im Innern der Schule sind Sie sehr spielerisch mit den Elementen umgegangen: Schichten überlagern sich, verschiedene Formen und Texturen fliessen ineinander. Was ist das Konzept hinter der Innenraumgestaltung?

Im Innern wächst das Gebäude wie ein Baum in die Höhe. Ganz unten sind die Bereiche für die Wurzelstufe, so wird die Kinderkrippe genannt. Dann geht es zur Grundstufe und hinauf zur Oberstufe. In den meisten Räumen gibt es einen eingeschossigen und einen zweigeschossigen Teil. So entsteht der Eindruck, dass alles ineinander verschachtelt ist. Und alle Bereiche sind rund um den grossen Raum angeordnet, der wie ein Stamm in der Mitte steht. Es ist eine Landschaft, in der man sich begegnet. Ein grosses Miteinander. Die Kinder wachsen in einem Umfeld auf, in dem es keine Begrenzungen und keine Alterstrennung gibt.

Welchen persönlichen Bezug haben Sie zu der Art und Weise, wie diese Schule geführt wird?

Mich interessiert das Thema sehr, denn ich habe selbst vier Kinder. Die Schulzeit ist nicht nur für sie, sondern auch für uns Eltern speziell. Man wünscht sich immer das Beste für die eigenen Kinder. Manchmal hat man Glück mit Lehrpersonen, manchmal weniger. Ich bin überzeugt, dass jedes Kind einzigartig und gut ist. Doch in der Regelschule werden Kinder, die mehr Aufmerksamkeit brauchen als andere, oft als lästig empfunden. Das gefällt mir nicht. Jedes Kind sollte mit seinem eigenen Charakter akzeptiert und gefördert werden.

Gibt es ein Element im «La Nave», dass diesen konkreten Gedanken aufnimmt?

Ja, die Fassade. Wir haben sie bewusst mit verschieden geformten Schindeln gestaltet. Es gibt lange und kurze, dicke und dünne Schindeln. Das war zwar aufwendig und herausfordernd bei der Montage, aber es repräsentiert den Gedanken perfekt: Es ist niemals falsch, wenn man anders ist als andere. Es braucht uns alle in der Gesellschaft. Und es braucht all die unterschiedlichen Schindeln, damit die Fassade von «La Nave» dicht ist.

«Bach Heiden produziert eher unliebsame Objekte in Schön.»

Wären Sie selbst gern in diese Schule gegangen?

Wahrscheinlich schon. Doch ich habe meine eigene Schulzeit in sehr guter Erinnerung. Ich habe mich immer sehr wohl gefühlt.

Warum ist Holz das dominierende Material in diesem Bau?

Weil Holz sehr nachhaltig ist. Weil man mit Holz so vielseitig gestalten kann. Und weil es der Werkstoff ist, der am besten riecht.

Eine Schule ist auch ein funktionales Gebäude. Wie kombinieren Sie Funktionalität und Ästhetik?

Bei uns steht die Funktionalität immer im Vordergrund. «Form follows function», wie die Designer so schön sagen. Das gilt auch für uns. Wenn ein Gebäude nicht funktioniert, hat es keinen Wert. Egal, wo sich jemand befindet oder wo jemand arbeitet, wenn sich die Person an diesem Ort gut fühlt, ist sie glücklicher und hat öfters ein Lächeln im Gesicht. Das Gebäude kann dies unterstützen.

Gesetze und Normen, wie sie für den Brandschutz gelten, sind für Architekten vor allem Faktoren, die den Gestaltungsspielraum hemmen …

Man lernt, damit umzugehen. Wir arbeiten in diesem Bereich genau aus diesem Grund oft mit Bach Heiden zusammen. Weil sie sehr innovativ sind. Und weil es das Team von Bach Heiden immer wieder schafft, Elemente, die andernorts eher als unschön und unliebsam gelten, in «Schön» zu produzieren.

Wie fügt sich der Brandschutz in dieses Gebäude ein?

Es gibt viele Türen, die sich im Brandfall automatisch schliessen. Wir haben sie in Zusammenarbeit mit Bach Heiden gekonnt versteckt oder so integriert, dass sie sich ästhetisch ins gestalterische Konzept einfügen.

Was gefällt Ihnen persönlich am besten an dieser Schule?

Ihre Vielschichtigkeit. Die Schule ist philosophisch vielschichtig, und das Gebäude ist bezüglich Räumlichkeiten und Nutzung vielschichtig. Zudem gefallen mir die grosszügigen Aussenbereiche auf den oberen Stockwerken und auf dem Dach. Sie können ebenfalls als Begegnungs- und Schulräume genutzt werden.

Mehr zum Projekt

Carlos Martinez wurde 1967 in Widnau geboren. Nach seiner Ausbildung als Hochbauzeichner studierte er von 1988 bis 1992 Architektur am Abendtechnikum St.Gallen. Seit 1993 ist er Mitglied im Schweizerischen Werkbund und bis 2009 war er Architekturexperte der Eidgenössischen Kunstkommission. Carlos Martinez realisierte mit seinem Büro über 100 Projekte. Für seine Leistungen wurde er 2017 mit der Goldmedaille des «Foro Europeo Cum Laude» ausgezeichnet.